Irgendwann.

September13-009„Natürlich bin ich nach wie vor besessen davon allein zu sein. Kein Dialog ist aufrichtiger oder verlogener als der mit sich selbst. Und einsam in einer Wohnung zu sitzen ist so viel unkomplizierter, als unter Menschen zu sein, die essen und trinken und lachen und so sehr am Leben sind, dass ihr Anblick schmerzt.“
aus „Splitterfasernackt“ von Lilly Lindner

Wahre Worte, wahre Worte.
Ja ich weiß, meine Beiträge sprühen in letzter Zeit nicht wirklich vor Freude. Aber wenn mir doch mal gerade nicht nach Freude ist, sondern eher nach Wut und Traurigkeit.
Ich gebe mein bestes um mich selber bei Laune zu halten. Ich versuche Sachen zu machen, die Spaß machen könnten. Ich hab sogar noch ein Häkelprojekt im Kopf, vielleicht fange ich damit auch noch an. Irgendwann.
Aber bis dahin kann noch viel passieren.

Das Leben

„Schau dir genau an, was um uns ist“, begann er, als die Wellen sich zu ihren Füßen brachen. „Schäumendes Wasser und die Erde, die sich davon nicht beeindrucken läßt; mächtige Berge, Bäume, das Licht, das jeder Minute des Tages einen anderen Schimmer, andere Farben verleiht; Vögel, die über unseren Köpfen kreisen; Fische, die versuchen, nicht den Möwen zur Beute zu fallen, während sie andere Fische jagen. Hör dir das harmonische Zusaamenspiel der Geräusche an, die Wellen, den Wind und das Surren des Strandes. Und inmitten dieser unglaublichen Symphonie von Leben und Materie stehen wir, du und ich und alle anderen Menschen.
Wie viele von ihnen sehen wohl, was ich dir gerade beschrieben habe? Wie viele sind sich jeden Morgen bewußt, was für ein Geschenk es ist, aufzuwachen und zu sehen, zu riechen, zu spüren, zu hören, zu empfinden? Wie viele von uns sind fähig, ihre Sorgen nur für einen Augenblick zu vergessen und dieses unglaubliche Schauspiel zu bewundern? Man möchte meinen, daß dem Menschen nichts weniger bewußt ist als sein eigenes Leben. […]“

aus „Solange du da bist“ von Marc Levy

Ich dachte, wenn ich den Mund aufmachen würde, um zu reden, würden mir die Tränen kommen und nie mehr aufhören. Daher vermied ich es, zu reden, egal mit wem.
(aus „Das Monster, die Hoffnung und ich“ von Sally Brampton)

Ich habe heute geredet.
Und das Ende vom Lied sind rote Augen und Tränen, die immer wieder kommen.
Mir geht es schlechter als vorher. Great.

Und damit fängt es an.

Du bewegst dich langsam, aber du bewegst dich, und dass sich das nicht ändert, beruhigt dich. Du putzt dir die Zähne, und du duschst deinen müden Körper, und du bekommst manchmal Kopfschmerzen, aber alles bewegt sich, alles geht doch weiter, der Fernseher läuft doch noch, so schlimm kann es doch nicht gewesen sein. Unmerklich wirst du Woche für Woche ein bisschen mehr zu Zement, ein bisschen mehr zu Beton, ein bisschen mehr zu dem Schatten hinter dir. Aber du gehst weiter, denn das Gehen fühlt sich gut an, im Gehen fühlst du dich sicher, im Gehen hörst du deinen Atem und grüßt auch manchmal irgendwen, denn du kennst ja Menschen, du hast ja Freunde, du hast ja wen. Manchmal merkst du, dass etwas passiert ist, dass dir etwas zugestoßen ist, dass etwas wehtut, dass sich etwas verschoben hat, dass du nicht mehr so bist, wie du vorher mal warst – aber weil du nie aufgeschrieben hast, wer das jetzt noch mal genau gewesen sein soll, kann dir keiner beweisen, dass das stimmt. Also stimmt es vielleicht auch einfach nicht.
(…)
Vielleicht war es nur einer dieser Momente. Vielleicht war es auch keiner. Manchmal reicht nur ein winziger Augenblick aus, um zu begreifen, dass nichts jemals wieder so sein wird, wie es war.
Und eines Morgens stehst du dann vor dem Spiegel und siehst dich an und siehst das fahle Grau in deinen roten Augen, und du bleibst vor dem Spiegel stehen, du bleibst einfach stehen und bewegst dich keinen Zentimeter mehr weiter.
Und damit fängt es an.

– „Drüberleben“ von Kathrin Weßling

Ich bin Hazel, …

… sagte ich, wenn ich an die Reihe kam. Sechzehn. Ursprünglich Schilddrüse, aber mit umfänglichen und hartnäckigen Metastasen in der Lunge. Und es geht mir ganz gut heute.

Es war ein Mittwoch Nachmittag, ich wollte nur mal kurz reinlesen. Und dann war es auf einmal Abendbrotzeit und ich war schon bei der Hälfte angelangt. Ich weiß nicht, wie ich dieses Buch beschreiben soll. Mitgenommen habe ich es wegen seinem Titel, und ein paar Stunden zuvor habe ich den „Bestseller 2012“-Aufkleber am oberen Buchrrücken angebracht, muss also ganz gut sein.
Es ist ein Buch, bei dem man gar nicht mehr aufhören kann. Es hat mich mitgenommen, ich habe Hazel in ihrem Alltag begleitet, ihre Gedanken und Gefühle miterlebt. John Green schreibt zum einen nachdenklich und man hat Mitleid mit dieser jungen Frau, doch im gleichen Moment muss man Schmunzeln und merkt gar nicht, wie bizarr die ganze Sache ist. Hazel beschreibt ihren Krebs z. B. so: Mit dreizehn die Diagnose Schilddrüsenkrebs, Stadium IV. (Ich erzählte ihm nicht, dass die Diagnose genau drei Monate nach meiner ersten Periode kam. So in etwa: Herzlichen Glückwunsch! Du bist eine Frau. Und jetzt stirb.) Der Krebs sei unheilbar, sagte man uns.
Ich möchte nachfolgend noch zwei Textstellen aufführen, die ich sehr berührend fand:

Hazel saß in einem Einkaufscenter und las.
„Ich war so gut wie am Ende, als ein kleines Mädchen mit Zöpfen und Haarspangen vor mir auftauchte und mich fragte: „Was hast du da in der Nase?“
Und ich sagte: „Das ist ein Sauerstoffschlauch. Der versorgt mich mit Sauerstoff und hilft mir beim Atmen.“ Im nächsten Moment war ihre Mutter da und rief mahnend: „Jackie“, aber ich sagte: „Nein, nein, schon gut“,  weil es überhaupt kein Problem für mich war, und Jackie fragte: „Kann es mir auch beim Atmen helfen?“
„Ich weiß es nicht“, sagte ich. „Probieren wir es aus.“ Ich nahm den Schlauch ab und ließ Jackie sich die beiden Stöpsel in die Nase stecken und atmen. „Es kitzelt“, sagte sie.
„Ja, oder?“
„Ich glaube, ich kann schon besser atmen“, sagte sie.
„Wirklich?“
„Ja.“
„Ich wünschte, ich könnte dir meinen Sauerstoffschlauch schenken“, sagte ich, „aber ich brauche wirklich seine Hilfe.“ Ich spürte den Sauerstoffmangel bereits. Ich konzentrierte mich aufs Atmen, bis Jackie mir die Schläuche zurückgab. Dann wischte ich einmal kurz mit dem T-Shirt darüber, flocht mir die Schläuche hinter die Ohren und steckte mir die Stöpsel in die Nasenllöcher.
„Danke, dass ich probieren durfte.“, sagte sie.
„Gern geschehen.“
„Jackie“, sagte ihre Mutter wieder, und diesmal ließ ich sie gehen.“

Nachts schläft sie immer mit einem Gerät namens BiPAP.
Das BiPAP nahm mir die Kontrolle über das Atmen ab, was extrem unangenehm war, aber das Schöne waren die Geräusche, die es dabei machte: bei jedem Einatmen rumpelte es, und es zischte, wenn ich ausatmete. Ich fand, dass es wie ein Drache klang, der im gleichen Rhythmus atmete wie ich, als hätte ich einen zahmen Drachen, der sich neben mir eingekuschelt hattte und dem so viel an mir lag, dass er seinen Atem auf meinen einstellte. Daran dachte ich, als ich einschlief.

Ich kann das Buch nur jedem ans Herz legen, lest es und ihr werdet genauso sprachlos und berührt sein. Ich lebe immer noch in der Welt von Hazel, obwohl ich schon ein ganz anderes Buch lese.
Ich spiele auch mit dem Gedanken mir das Buch privat zuzulegen.
John Green, great job!

Ada liebt

Ich habe es zum Abschluss meines Praktikums in der Buchhandlung geschenkt bekommen. Und es war einfach wie für mich gemacht. Und Bücher, mit denen man sich identifizieren kann, sind ja fast immer die Schönsten. Oder sie regen nur zum Nachdenken an. Reicht ja manchmal auch schon aus.

Es geht um Ada, eine junge Frau, deren Welt Bücher sind, studiert und mit der Liebe noch nie viel am Hut hatte. Bis Bo, der junge Landwirt, in ihr Leben trat.

Warum bist du so allein, Ada, hatte mich meine Mutter während eines ihrer Wochenendbesuche bei mir gefragt, denn ihr war aufgefallen, dass mein Telefon in drei Tagen nur zwei Mal geklingelt hatte. Ein Mal war es mein Vater, der sie vermisste und hoffte, sie würde es merken, wenn er sie fragte, ob sie gut angekommen sei, und der andere Anrufer hatte sich verwählt.
Ich bin nicht allein, hatte ich gesagt, ich kann nur mit ihnen nichts anfangen und sie nicht mit mir. Sie gehören aber dazu, hatte meine Mutter vorsichtig gesagt und ich fragte, wozu, und sie sagte, zum Leben, und das Gespräch war vorbei.

Und noch eine Textstelle zum Singledasein.

Als wir in den Süden einfuhren und der Dialekt um mich herum unerträglich wurde, fiel mir meine Mutter ein, die sagte, du bist so einsam, Ada, das ist nicht normal, jeder braucht jemanden und jeder Mensch nimmt sich erst durch die Liebe eines anderen Menschen wahr. Sie benutzte das Wort Liebe zu häufig, es wirkte abgedroschen und leer, aber vielleicht war etwas dran. Vielleicht strebten die Menschen stets nach einem Gegenüber, vielleicht stimmte die Werbung, die uns unser Leben genau so verkaufen wollte; nicht umsonst wurden mehr als drei Mal so viele Doppelbetten und Zweiersofas produziert wie Sessel und Singlematratzen. Kleine Küchen waren teurer als große, kleine Spülmaschinen auch, selbst bei der Wurst schlug sich das nieder. Singlewaschmaschinen waren unerschwinglich und kaufte man sich ein solches Gerät, guckte die Kassiererin mitleidig.
Man fiel heraus aus der Kleingartenkultur, wenn man kein Gegenüber hatte am Frühstückstisch, aber war man deshalb allein? War meine Mutter weniger einsam, weil sie meinem Vater den Tisch deckte und die Wäsche wusch und war mein Vater am Ende seines Glücks angekommen, wenn er die Blumen auf dem Tisch beiseite schob, um sie ansehen zu können?
Ich hatte nie jemanden gebraucht und ich hatte nie zuvor über Singlewaschmaschinen nachgedacht. Vielleicht brauchten Menschen einander, und vielleicht war es auch nicht die Liebe, sondern der Egoismus der Gene, die sich unbedingt fortpflanzen wollten, ganz einfach im Auftrag der Natur.